Wenn Ulrich Reitz „Afghanistan-Geheimnisse enthüllt“: Vom 13jährigen deutschen Krieg doch noch zum 30jährigen?

Am 28. und 29. 11. 2012 blies die WAZ eine Riesenblase zu Afghanistan auf: Nach angeblich monatelangen „Recherchen“ hatte sie herausgefunden, dass es einen Unterschied zwischen „UdP“ („Unterrichtung des Parlaments“) und „UdÖ“ („Unterrichtung der Öffentlchkeit“) zu Afghanistan gibt. UdP ist geheim. Die Bundesregierung erklärte, der Unterschied sei unbedeutend und rein formal, da er nur verbündete Truppen betreffe. Das stimmt im wesentlichen, und es ist höchst lächerlich, dass die WAZ als angeblich „enthülltes Geheimnis“ ausposaunt, dass die meisten französischen Truppen bereits aus Afghanistan abgezogen wurden („Fall: 8. August 2012“). Das hatte Hollande bekanntlich im Wahlkampf versprochen, und es auch – im Gegensatz zu seinen Sozialversprechungen – gehalten. Was hätte Reitz dazu sagen konnen? Dass die deutsche Supergroße Koalition (einschließlich der SPD und einschließlich vor allem der GRÜNEN!!!) die Möglichkeit verpasst hat, gemeinsam mit dem engsten Verbündeten Frankreich aus Afghanistan abzuziehen. Vor allem hätte er sagen können, warum diese Möglichkeit verpasst wurde: Weil Deutschland auch nach 2014 zusammen mit den USA den Krieg weiterführen will, bloß umgerüstet auf die neue Fünffaktoren-Strategie, auch Petraeus-Strategie genannt (2 D, 2 A plus S): Dienste – Drohnen – „Ausbilder“ – „Azubis“ (einheimische Stellvertretertruppen) – „Spezialkräfte“. Und dass dieser Unterschied darin besteht, dass Deutschland seine neue Rolle als Weltmacht Nummer 2 auch militärisch „erfüllen muss“. Das wäre ein „enthülltes Geheimnis“ gewesen, und nicht die Feststellung, dass „deutschen Soldaten unter Feindfeuer (Schreckliches) widerfährt“ oder dass das Karzai-Warlords-Regime korrupt ist oder dass in Afghanistan massenweise Mohn angebaut wird. Wenn das bisher durch eine „Schweigespirale“  vertuscht worden wäre, dann hätte ja dieses Blog hier seit Jahren ständig „Geheimnisse enthüllt“.

Ginge der Afghanistankrieg der Bundeswehr wirklich 2014 zuende, dann wäre es ein 13jähriger Krieg gewesen, und als solcher trotzdem  bereits der längste deutsche Krieg seit dem 30jährigen. Aber es sieht ganz danach aus, dass den deutschen Funktionseliten 13 Jahre nicht reichen, um ihrer neuen Rolle in der Weltjunta zu entsprechen. Am 28. 9.2012 brachte die WAZ einen Artikel: „Viele Afghanistan-Kämpfer kehren krank zurück“. Es ging dabei um „PTBS“ (Post-Traumatische-Belastungs-Störung). „2008 zählte die Bundeswehr 255 PTBS-Patienten, im Folgejahr 455, im Jahr 2010 dann 729 und 2011 inzwischen 922.“ Plus „Dunkelziffer“ von 45 Prozent. Das sind schreckliche Zahlen, und ich finde es nicht richtig, dass einige Kriegsgegner sagen: selbst inschuld, da freiwillig. Statt dessen wäre zu sagen: schreckliche Opfer eines verkorksten Anti-Guerillakrieges für die „deutsche Weltgeltung“ – allerdings tatsächlich statistische Peanuts gegen die Opfer auf afghanischer Seite.

WNLIA

Aber gilt nicht wirklich: „Gnade uns Gott, wenn die Taliban zurückkehren?“ Wie in diesem Blog immer wieder erklärt, gilt es als erstes, sich aus der falschen Alternative „Anti-Guerillakrieg oder Taliban“ zu befreien: WNLIA = Weder-Noch, Lieber Irgendwie Anders“. Die Alternative ist völlig falsch, da auf „unserer“ Seite die (ebenfalls terrorpatriarchalisch-fundamentalistischen) Warlords kämpfen, die bereits jetzt (wie schon in den 1990er Jahren) ein ebenso frauenfeindliches Terrorregime wie das der Taliban wiedererrichtet haben. Immerhin hat die WAZ das Verdienst, auf „unseren“ engsten Verbündeten Dostum hingewiesen zu haben, der vermutlich den Schlächter- und Folterer-Rekord des ganzen Krieges hält und noch die Taliban „abhängt“. (Übrigens war Dostum auch schon aktiv, als noch die Sowjetunion einen Anti-Guerillakrieg für Fortschritt und Frauenemanzipation führte – er war damals „Gewerkschaftsführer“; seine Leute kamen dann in der DDR unter, lernten flüssig deutsch und dürften heute zu den besten Informanten der Bundeswehr zählen.) Die (glücklicherweise keineswegs schwachen) sowohl für Demokratie und Frauenrechte wie für Unabhängigkeit engagierten Afghaninnen und Afghanen, etwa vertreten von Malalai Joya, fordern WNLIA, und darunter den sofortigen vollständigen Abzug der Besatzungstruppen und das Ende „unserer“ Finanzierung der Warlords, deren Stärke auf den Bajonetten der NATO beruht (die sich leider inzwischen in modernste Haubitzen, Kampfhubschrauber, Kampfjets und Drohnen verwandelt haben).

Der „Bruch der Schweigespirale“ durch Reitz lässt also leider alle wesentlichen „Geheimnisse“ aus: Nicht zuletzt auch die Kosten von bisher über 10 Milliarden Euro des „deutschen Steuerzahlers“, zu denen weitere zig Milliarden hinzukommen werden, wenn es nach den Plänen von de Maizière gehen soll: Aufrüstung mit Drohnen, um PTBS überflüssig zu machen und trotzdem weiter nach unkontrollierbaren Denunziationslisten der Geheimdienste ohne Kombattantenstatus und ohne Gerichtsverfahren wegen mutmaßlichen Terrorismus killen zu können. Ebenso die Pläne, zusammen mit den USA den Krieg endlos weiterzuführen, und zwar mit 1500 Soldaten plus x (USA: 10000 plus x). Vor allem: Durch diese Verstetigung des Krieges auch das frauenfeindliche Terrorregime der Warlords zu verstetigen. (Westerwelle: „Wir lassen Afghanistan nicht im Stich.“) Wetten, dass all das im Wahlkampf überhaupt keine Rolle spielen wird? Weder für „die Politik“ noch für die Medien (einschlicßlich WAZ)? Das betrifft schließlich „Deutschlands nationale Sicherheit“ („Weltgeltung“, Rolle als Weltmacht Nr. 2 und Mitglied der Weltjunta) – wo kämen wir hin, wenn Hausfrauen darüber mitreden wollten.

So viele Tote, Verkrüppelte, Traumatisierte für die „Stabilisierung“ – und am Ende eine Koalition aus Warlordverbrechern und Taliban! Nie wieder Weltjuntakriege!

Was die Gegner des NATO-Krieges und besonders des deutschen „Engagements“ seit Jahren gesagt haben, ist nun auch offiziell: Die von „uns“ mit Geldfässern ohne Boden, Nightraids, Bombardements und Drohnenattacken am Leben gehaltene und zu „stabilisierende“ Regierung Karzai ist eine Regierung von Kriegsverbrechern genauso schlimmer Sorte wie die Taliban (abgesehen vom Opiumhandel). Insofern ist es nur „logisch“, dass am Ende dieses 14jährigen oder längeren Krieges eine Koalitionsregierung aus Warlords und Taliban stehen wird, wenn die demokratischen Strömungen in allen Völkern Afghanistans diese „Pointe“ des westlichen „Engagements“ nicht noch verhindern. Dazu müssen sie aber die Hände frei bekommen, wozu die erste Bedingung der Abzug der Besatzertruppen ist. Wenn die Bundeswehr dem französischen Kontingent folgen würde, wäre das ein entscheidender Schritt. Wem all diese Zusamnenhänge unbekannt sind, weil insbesondere die Grünen-Spitze die Lage am Hindukusch systematisch vernebelt, der (oder die) kann das Wichtigste nachlesen im Buch der afghanischen Dissidentin und Emanzipationsengagierten Malalai Joya („Raising my voice“, auch auf Deutsch).

Wir wissen nun auch aus offiziellen Quellen, für welche „Stabilität“ die Bundeswehr mit ihren Haubitzen am Hindukusch rumballert. Während „unsere Jungs“ Nightraids gegen denunzierte Dörfer „fahren“ und der Opiumanbau blüht, führte „unser“ Topgeheimdiplomat Michael Steiner schon seit 2010 in Pullach (!!! welche Symbolik: wo der BND unter Gehlen die Arbeit des Nazi-Militärgeheimdienstes nonstop weiterführte) „Sondierungsgespräche“ mit engen Vertrauten des Mullah Omar. Es wäre schon längst alles „in trockenen Tüchern“, wenn Karzai selber nicht Angst gehabt hätte, ausgebootet zu werden! Und jetzt stellt man Karzai ein Ultimatum so wie den Griechen und Spaniern.

Egal wie „komplex“ die Lage sein mag: Ihre entscheidende Basisstruktur lautet: Deutschland macht hegemoniale und mehr und mehr imperiale „Weltpolitik“ – nicht bloß wirtschaftlich, sondern als führendes Mitglied einer selbsternannten Weltjunta auch militärisch. Wohin das führt, ist jetzt klar. Die Mehrheit des Volkes will das nicht. Also kann die Umrüstung der Bundeswehr auf eine reine Weltjunta-Interventionstruppe für Drohnen- und Dienste-Kriege jetzt noch gestoppt werden. Und es ist nun  einmal so: Das entscheidende Kettenglied sind die Grünen. Man kann sich doch eigentlich schlecht vorstellen, dass die grüne Basis eine solche deutsche Militärpolitik will. (Auch die Piraten könnten noch die Weiche richtig stellen.)

3 Nachrichten, 1 Tendenz: „G 5+1“ – „no risk no fun“ – Petition der afghanischen Dolmetscher

Drei Nachrichten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben:

In Istambul verhandelt die „G 5+1“, d.h. die Gruppe der Vetomächte plus Deutschland, in einer neuen Runde über das iranische Atomprogramm. Niemand stellt die Frage, warum und wieso die G 5 einen Ableger +1 bekommen hat und wieso „D“ und nicht etwa Japan, Kanada (Mitglieder der G7) – oder gar so große Länder wie Indien, Brasilien usw.  Ja wie ist es dazu gekommen, dass D und nur D praktisch kooptierte Vetomacht wurde? (Antwort: Weil nur D inzwischen nicht bloß ökonomische Spitzen-„Verantwortung“, sondern auch militärische Spitzen-„Verantwortung“ wahrnimmt. Denn letztlich geht es ja beim iranischen Atomprogramm um militärische Dinge, oder?)

Der neue BND-Chef hat ein Interview gegeben, das z.B. der „Spiegel“ lustig findet: Er brachte da nämlich einen lustigen englischen Spruch: „No risk no fun!“ Dieser Spruch bezog sich auf seine Forderung, die Agenten des BND müssten in aller Welt jetzt mal richtig Muskeln zeigen – sehr viel offensiver werden, mehr zum CIA aufrücken. Ob das so spaßig ist, wie der „Spiegel“ meint? Eher steht es in folgendem Kontext: Als „Lektion aus Irak und Afghanistan“ implementieren die USA gerade eine neue globale Anti-Guerilla-Strategie, die eigene Bodentruppen stark zurückfahren und sich statt dessen vor allem auf eine „Synergie“ von Drohnen, Diensten wie CIA und BND (mit jeweils einheimischen Informanten- und Denunziantennetzen) und je einheimischen Stellvertreter-Söldnern („Azubis“) stützen soll. Da kommen in der Tat enorme neue „Verantwortungen“ auf den BND zu: No risk no fun!

Schließlich haben die afghanischen Dolmetscher der Bundeswehr dieser eine Petition überreicht, um für die Zeit nach dem Abzug der Bodentruppen die Option des Asylstatus einzuklagen (FAZ 14.4.2012). Sie machen sich (ganz sicher zu Recht) Sorgen, dass man sie anklagen wird, Agenten und Denunzianten gedolmetscht zu haben, die dann zu gezielten oder kollateralen Killungen führten. Während die anderen NATO-Truppen, u.a. die der USA (Erinnerungen an Vietnam werden wach), bereits die Asyl-Option geöffnet haben sollen, scheint sich D mal wieder zugeknöpft zu geben.

Wie man sieht, haben diese drei Meldungen einen sehr „stabilen“ gemeinsamen Nenner: D ist nicht nur wieder da – D robbt sich gar nicht langsam an die 2. Position direkt nach der Supermacht heran. – Und darüber wird nicht diskutiert (auch nicht bei den Piraten), darüber gibt es keine Talkshows, darum werden keine Wahlkämpfe geführt. Dabei wäre es doch wirklich eine Frage an das Volk: Wollen wir eigentlich wirklich Weltgendarm Nr. 2 werden (oder auch bloß Nr. 3)? Mit gut 1 Prozent der Weltbevölkerung?  Soll es denn stimmen, dass statt der Menschen nur die Märkte sowas bestimmen?

Es gibt eine andere, vernünftige Option: Der Rückzug aus Afghanistan muss gleichzeitig der Rückzug aus der selbsternannten Welt-Junta werden: Nie wieder Anti-Guerillakriege der Bundeswehr in „Übersee“.